Ohne Unterstützung sind das Leben und die Existenzgrundlage von Millionen Menschen in Afghanistan in Gefahr, so der Chef des VN-Entwicklungsprogramms

30. March 2022

Achim Steiner, der Leiter des UNDP, fordert die Wiedereröffnung von Sekundarschulen für Mädchen und appelliert am Vorabend einer globalen Geberkonferenz an die Solidarität der internationalen Gemeinschaft.  

 

Mazar-e-Sharif, Afghanistan | 28. März 2022 - Achim Steiner, UNDP-Administrator, traf am ersten Tag seines zweitägigen Besuchs in Afghanistan mit Unternehmerinnen aus Mazar-e-Sharif zusammen. Er und die Unternehmerinnen diskutierten über die wirtschaftliche Lage, die Herausforderungen und die Notwendigkeit, ihre Unternehmen vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschaftskrise zu erhalten. Foto: UNDP Afghanistan/Oriane Zerah

 

30. März, Kabul | New York - Der Leiter des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) erinnerte die internationale Gemeinschaft daran, dass Afghaninnen und Afghaner nicht vergessen werden dürfen, wenn die Welt ihre Aufmerksamkeit auf den Krieg in der Ukraine richtet, und forderte weitere Investitionen, um das Leben und die Lebensgrundlagen der afghanischen Bevölkerung zu retten. 

Achim Steiner betonte die Wichtigkeit der Rechte von Mädchen und Frauen in dem Land. Die jüngsten Beschlüsse, Mädchen ab der sechsten Klasse von der Sekundarschulbildung auszuschließen, seien sehr besorgniserregend. UNDP werde sich gemeinsam mit den VN-Organisationen dafür einsetzen, den Zugang von Mädchen und Frauen zu Bildung und Arbeit zu verteidigen und zu fördern und diese Rechte zu schützen. 

"Die Partnerschaften von UNDP sind oft multidimensional, und manchmal sind wir mit Herausforderungen konfrontiert, die, wie die Bildung von Mädchen in Afghanistan, zu Bruchlinien werden können", sagte Steiner. "Sowohl Jungen als auch Mädchen müssen in die Klassenzimmer gehen dürfen, denn die Zukunft Afghanistans muss allen afghanischen Menschen gehören, nicht nur einigen wenigen Auserwählten. UNDP wird Afghaninen und Afghanen weiterhin dabei unterstützen, ein starkes sozioökonomisches Fundament zu schaffen, das von Grund auf Wachstum ermöglicht."

Steiner äußerte sich während einer zweitägigen Reise in das Land, wo er mit Vertreterinnen und Vertretern von frauengeführter Unternehmen, der Zivilgesellschaft und des Privatsektors, mit Akademikerinnen und Akademikern sowie Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern zusammentraf. Er wies auch auf den dringenden Handlungsbedarf hin, um eine Armutspirale und wirtschaftlicher Instabilität zu verhindern. 

"Wir haben Ende letzten Jahres berichtet, dass schätzungsweise 97 Prozent der afghanischen Bevölkerung bis Mitte 2022 in Armut leben könnten, und bedauerlicherweise wird diese Zahl schneller erreicht als erwartet", sagte Steiner. "Angesichts der weltweit explodierenden Rohstoffpreise wissen wir, dass es sich die Menschen hier nicht leisten können, ihre Grundbedürfnisse wie Nahrung, Gesundheitsversorgung und Bildung zu erfüllen. Ich habe jedoch gesehen, wie entschlossen die Afghaninnen und Afghanen sind, wieder auf die Beine zu kommen und sich für soziale Stabilität einzusetzen"

Die erste Station seiner zweitägigen Reise war ein Treffen mit Unternehmerinnen und Mitgliedern der Handelskammer in Mazar-e-Sharif. Er hat sich ihre Gespräche darüber angehört, wie schwierig es ist, ihre Unternehmen am Leben zu erhalten und über den fehlenden Zugang zu Kapital

"Die Kleinunternehmerinnen, mit denen ich gesprochen habe, sind hartnäckig in ihrer Entschlossenheit, trotz aller Widrigkeiten weiterhin ein Einkommen zu verdienen und ihre Familien und Gemeinschaften zu versorgen", so Steiner. "Es ist von größter Wichtigkeit, dass die internationale Gemeinschaft ihre Solidarität und ihr Engagement zeigt, um weitere ökonomische Notlagen zu verhindern, insbesondere für Frauen", so Steiner. "Allein in diesem Jahr planen wir mehr als 50.000 kleine und mittlere Unternehmen unterstützen, von denen viele von Frauen geführt werden.

Nach dem Regierungswechsel im August 2021 steht Afghanistan vor einem potenziell unumkehrbaren wirtschaftlichen Zusammenbruch, einem eingefrorenen Bankensystem und Liquiditätsknappheit, die bis zu 80 Prozent der Menschen in die Verschuldung führt.  

Diese Instabilität und die Notwendigkeit, Bargeld in die Hände derjenigen zu bringen, die es am dringendsten benötigen, sind laut Steiner die Gründe, warum sich die internationale Gemeinschaft auf der am 31. März bevorstehenden hochrangigen Geberkonferenz zur Unterstützung der humanitären Hilfe in Afghanistan zur Bereitstellung neuer Mittel verpflichten muss.

"Wir müssen die Wirtschaft von Grund auf wieder zum Laufen bringen, und das bedeutet Unterstützung für Einzelpersonen, ihre Familien und ihre Unternehmen", sagte er. "Während die Aufmerksamkeit der Welt auf die Ukraine und die Auswirkungen dieses Krieges gerichtet ist, müssen wir uns auch mit dem afghanischen Volk solidarisch zeigen.  Wir werden bleiben und uns dafür einsetzen, dass die hart erkämpften Errungenschaften in den Bereichen Gleichstellung der Geschlechter, Gesundheit, Lebensunterhalt und Zugang zu Energie in dieser Zeit der Not nicht verloren gehen." 

Am zweiten Tag seiner Reise traf sich Steiner mit Nichtregierungsorganisationen, führenden Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft, der Privatwirtschaft, Frauenorganisationen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammen. Er sich ihre Visionen für die Zukunft Afghanistans und die Wege nach vorne angehört.

"Beim Aufbau einer besseren Zukunft in Afghanistan muss das Land seine Vordenkerinnen und Vordenker und die jungen Menschen binden, die verzweifelt versuchen, Wege zu finden, die allen zugute kommen", sagte Steiner. "Die Zukunft des Landes muss auf den Menschenrechten und der Menschenwürde beruhen, auf dem Zugang zum Lebensunterhalt und darauf, niemanden zurückzulassen.

UNDP leitet den sozioökonomischen Wiederaufbau des Landes im Rahmen des One-UN Transitional Engagement Framework (TEF). Im Oktober 2021 startete UNDP ein ehrgeiziges lokales Wiederaufbauprogramm, ABADEI, zur Sicherung der Existenzgrundlagen und kleiner produktiver Tätigkeiten. 

Seitdem hat das ABADEI-Programm 76 000 Menschen mit befristeten Arbeitsplätzen unterstützt, 25 000 Landwirtschaft und Handel betreibenden den Zugang zum Markt ermöglicht, was mehr als einer Viertelmillion Menschen zugutekommt, und unter anderem den Bau von lebenswichtigen Bewässerungssystemen für 105 000 Menschen gefördert sowie 18 000 Menschen in armen Haushalten und 80 KKMU durch Solar-Wasser-Kleinstnetze Zugang zu sauberer und bezahlbarer Energie verschafft. 

UNDP hat auch die Verbesserung der Gesundheitsdienste unterstützt, indem es 3,1 Millionen Afghanen - darunter 1,1 Millionen Kinder und 780.000 Frauen - den Zugang zu medizinischer Grundversorgung einschließlich COVID-19-Impfungen, die Bezahlung der Gehälter des medizinischen Personals und die Unterstützung von Gesundheitseinrichtungen ermöglichte.

Die Einrichtung eines Finanzierungsmechanismus, des Sondertreuhandfonds für Afghanistan, wurde vorangetrieben, um die Mittel der Geberorganisationen in eine einheitliche Reaktion zu lenken, die 16 VN-Organisationen umfasst und eine vernetzte, kohärente Anstrengung zur Unterstützung der menschlichen Grundbedürfnisse und der grundlegenden Dienste im Lande gewährleistet.  

Zusätzlich zu den 4,4 Mrd. USD, die zur Deckung des humanitären Bedarfs nötig sind, benötigen die in Afghanistan tätigen VN-Organisationen dringend weitere 3,6 Mrd. USD, um die grundlegenden Sozialprogramme zur Unterstützung von 38 Millionen Menschen im Rahmen der VN-Rahmenregelung aufrechtzuerhalten. UNDP beantragt für Afghanistan in diesem Jahr 134,6 Millionen US-Dollar zur Unterstützung seiner Maßnahmen.

Steiner würdigte die bereits über den Treuhandfonds und von bilateralen Partnern geleistete finanzielle Unterstützung, die UNDP geholfen hat, vor Ort tätig zu werden und zur Stabilisierung der Lebensgrundlagen in Afghanistan beizutragen, sagte jedoch, dass eine anhaltende Unterstützung und neue Zusagen den potenziellen Wohlstand des Landes weiter stärken können.    

"Ich fordere die internationalen Partner dringend auf, sich auf der bevorstehenden Geberkonferenz für die weitere Unterstützung der Menschen in Afghanistan einzusetzen", so Steiner.  "UNDP setzt sich für die Stärkung der Resilienz auf lokaler Ebene ein, insbesondere für Frauen und Mädchen, die bei der Erholung Afghanistans nicht zurückgelassen werden dürfen", so Steiner. "Auf der Makroebene engagieren wir uns für die Entwicklung von Strategien und Optionen zur Bewältigung des fast vollständigen Zusammenbruchs des kommerziellen Bankensektors und der wichtigsten Funktionen der Zentralbank, welche das Finanzsystem lahmgelegt und zu einer beispiellosen Liquiditätskrise geführt haben." 

UNDP ist die führende Organisation der Vereinten Nationen, die sich dafür einsetzt, die Ungerechtigkeit von Armut, Ungleichheit und Klimawandel zu beenden. In Zusammenarbeit mit unserem breiten Netzwerk von Expertinnen und Experten, sowie Partnerinnen und Partnern in 170 Ländern und Gebieten helfen wir den Nationen, integrierte, dauerhafte Lösungen für die Menschen und den Planeten zu entwickeln. Erfahren Sie mehr unter undp.org oder folgen Sie uns @UNDP.

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